Preisgestaltung

Hier, wie versprochen, das in der Neuauflage hinzu gekommene Kapitel zur Preisgestaltung:

Die Preise, die Übersetzer für Ihre Arbeit verlangen, können unfassbar weit auseinanderklaffen. Manche berechnen das pro Wort, was andere pro Zeile verdienen (45 Cent)! Ein Stück weit sind diese enormen Unterschiede berechtigt – ein Kollege mit 40 Jahren Erfahrung auf einem sehr gefragten Spezialgebiet kann sich teurer bezahlen lassen als die Berufsanfängerin. Dennoch sollten Sie sich nicht zu billig verkaufen – immerhin haben auch Sie Rechnungen zu bezahlen!

Empfohlen wird im Allgemeinen folgende Berechnung:

  1. Listen Sie alle Kosten auf, die bei Ihnen im Laufe eines gesamten Jahres anfallen, d. h. Miete, Nebenkosten, Versicherungen, Lebensmittel, Bürobedarf, Kleidung, Urlaub, Geschenke, Auto, Altersvorsorge, Einkommenssteuer – absolut alles. Dafür werden Sie vermutlich ein Jahr lang ein Haushaltsbuch führen müssen, ansonsten verschätzt man sich meist. Vergessen Sie auch den alle paar Jahre anfallenden Computer,  Einrichtungsgegenstände und Rücklagen für Unvorhergesehenes nicht! Nehmen wir an, Sie kommen so auf einen Bedarf von 40.000 Euro im Jahr. Diese 40.000 Euro im Jahr müssen Sie also verdienen.
  2. Nun rechnen Sie aus, wie viele Stunden im Jahr Sie arbeiten.  365 Tage im Jahr minus 104 Tage Wochenende, minus 7 Feiertage, minus 20 Urlaubstage, minus 4 Krankentage macht 230 Arbeitstage im Jahr (tatsächliche Zahlen können natürlich abweichen). An diesen 230 Tagen arbeiten Sie jeweils 5 Stunden, weil Sie nachmittags Ihre Kinder unterhalten. Somit kommen Sie auf 1150 Arbeitsstunden pro Jahr.
  3. Teilen Sie nun Ihren Soll-Verdienst durch die Arbeitsstunden. In unserem Beispiel kommen wir so auf 35 Euro pro Stunde.
  4. Nun müssen Sie feststellen, wie viele Zeilen bzw. Wörter Sie pro Stunde übersetzen. Dabei hilft es nicht, eine Stunde lang konzentriert zu übersetzen und am Ende die Zeilen nachzuzählen, vielmehr müssten Sie mindestens eine Woche lang Buch führen, wie viele Stunden Sie gearbeitet und wie viele Zeilen Sie in dieser Woche übersetzt haben. Immerhin geht ja auch Zeit für das Korrekturlesen, Erstellen von Angeboten und Rechnungen, Kundentelefonate, Marketing usw. drauf! Nehmen wir an, Sie kommen so in den 25 Stunden, die Sie pro Woche arbeiten, auf 800 Zeilen, macht 32 Zeilen pro Stunde.
  5. Teilen Sie nun den Stundensatz durch die Zeilen pro Stunde: In unserem Fall sind das rund 1,10 Euro. Diese 1,10 Euro (zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer) müssen Sie somit pro Zeile verlangen, um Ihre Kosten zu decken.

Diese Methode ist jedoch nicht für sich allein genommen anwendbar. Denn genauso können Hobbyübersetzerinnen ihre Dumpingpreise verteidigen: Ohne Miete für ein separates Büro, ohne professionelle Software, ohne Versicherungen und ohne Steuer und mit einem Mann, der den Urlaub bezahlt, ist der jährliche Bedarf natürlich deutlich geringer, sodass sie einen deutlich geringeren Zeilenpreis erzielen muss. Umgekehrt: Wenn ich sehr teure Hobbys pflege, aber aus Mangel an Aufträgen in den fünf Stunden, die mir eigentlich pro Woche zum Arbeiten zur Verfügung stehen, nur 100 Zeilen übersetze, komme ich auf einen Zeilenpreis, den sicherlich kein Kunde bezahlen würde. Ausrechnen sollten Sie Ihren persönlichen Zeilenpreis so dennoch als Orientierung.

Ein wichtiger Anhaltspunkt ist der marktübliche Preis. Diesen erfahren Sie am besten aus dem „Honorarspiegel für Übersetzungs- und Dolmetschdienstleistungen“, der alle drei Jahre vom BDÜ veröffentlicht wird. Hier können Sie, nach Sprachrichtungen und Kundengruppen sortiert, den durchschnittlich von Kollegen berechneten Zeilen- und Wortpreis nachschlagen.

Beide Werte dienen nur der Orientierung – im Grunde sollten Sie für jeden einzelnen Kunden und für jede einzelne Textsorte Buch führen, wie lange Sie an dem jeweiligen Auftrag sitzen, um zu berechnen, für welche Textsorte Sie wie viel verlangen sollten. Andererseits könnten Sie in der Zeit, in der Sie all diese Berechnungen durchführen, eine ganze Menge Geld mit Übersetzungen verdienen.

Nehmen Sie für den Anfang den als Median angegebenen Preis aus dem Honorarspiegel. Wenn Sie zu diesem Preis ausreichend oder gar mehr Aufträge erhalten, als Sie bewältigen können, gehen Sie bei zukünftigen Angeboten mit dem Preis nach oben. Sind Sie mit dem höheren Preis ausgelastet, erhöhen Sie bei zukünftigen Angeboten wieder Ihren Zeilenpreis usw. So ertrinken Sie nie in Arbeit und verdienen dennoch stetig mehr.

Preiserhöhungen

Alles wird teurer. Eigentlich sollten Sie deshalb Ihre Preise jährlich der Inflationsrate anpassen. Leider jedoch macht sich mit Preiserhöhungen niemand beliebt, sodass diese Methode zum Verlust von Kunden führen kann. Ich persönlich erhöhe Preise bei Bestandskunden nur, wenn ich auf diese verzichten kann. Manche Kunden haben aus früheren Zeiten noch einen so niedrigen Preis, dass es nicht mehr rentabel ist, dafür zu arbeiten. In diesem Fall kann ein freundliches Schreiben mit einer Preiserhöhung dazu führen, dass der Kunde den neuen Preis schluckt und er für Sie wieder rentabel wird – oder aber er ist weg. Aber lieber ein Kunde weniger als einer, der sich nicht rentiert! Bei Kunden, für die ich gerne arbeite und die ich unbedingt behalten möchte, erhöhe ich die Preise nie – und schon gar nicht um mickrige 2 % im Jahr. Davon habe ich kaum etwas, verärgere jedoch den Kunden. Dennoch verdiene ich mit der Zeit mehr: Schaffte ich vor fünf Jahren beispielsweise noch nur 30 Zeilen pro Stunde des üblichen Kundentextes, sind es heute durch mehr Erfahrung mit dieser Textsorte und ein gutes TM 60 Zeilen – insofern hat sich mein Stundensatz verdoppelt. Wenn ich diesem alten Kunden beispielsweise 1,00 Euro pro Zeile berechne, komme ich auf 60 Euro pro Stunde – bei einem Neukunden hingegen, bei dem ich zwar 1,30 berechne, aber auch nur 30 Zeilen pro Stunde schaffe, nur auf einen Stundensatz von 39 Euro. Sie sehen: Zeilen- und Wortpreise sind nur bedingt miteinander vergleichbar. Wirkliches Kriterium ist Ihr realer Stundensatz, und den sollten Sie stets im Auge behalten.

6 Gedanken zu „Preisgestaltung

  1. Seien Sie herzlichst gedankt für den wunderbaren Artikel! Ich bin eine freiberufliche Übersetzerin estnischer Herkunft, an der Universität Magistergrad erworben und frage ich mich immer oft, ob es mir überhaupt möglich ist als solche zu überleben, denn viele in meiner Heimat wollen einen Text für einen so niedrigen Preis, dass ich monatlich etwa 800 € oder sogar weniger verdiene… Und zwar dann, wenn ich umfangreichere und schwierigere Texte zum Übersetzen bekomme. Bisweilen bin ich überlastet und überstrapaziert, bisweilen habe ich aber keine Arbeit. Für mich ist durchweg normal, am Wochenende und nachts zu arbeiten… Vielen herzlichen Dank für die Aufmunterung, denn Ihr Artikel macht deutlich, wie ich meinen Tag und meine Arbeit gestalten und Arbeitsaufwand berechnen soll.

    Viel Erfolg und alles Beste,
    Siret

  2. Ein interessanter Artikel, allerdings finde ich es etwas seltsam, anhand seiner Ausgaben den Preis zu bestimmen, den ein Kunde zahlen soll. Ich lebe eher sparsam, wobei das vielleicht das falsche Wort ist – ich habe einfach nicht das Bedürfnis, viel Geld auszugeben. Ich schlafe lieber im Hostel oder mache Couchsurfing, statt ein Hotel zu buchen, und arbeite gerne von zu Hause oder einem Café aus, statt Miete für ein Büro auszugeben zum Beispiel. Sollte ich deshalb einen geringeren Satz verlangen?

    Mein Prinzip ist: Wenn ich eigentlich keine Lust auf den Job oder das Thema habe, setze ich doppelt so viel an wie normalerweise. Mehr als ablehnen können sie nicht – aber meistens muss ich es dann trotzdem machen ;-)

  3. das Problem ist heute generell dass bei Übersetzungen zumindest bei Agenturen meist die Auftraggeber die Preise diktieren. Diese Preise wiederum entsprchend einem globalem Markt der durch Konkurrenz in Ländern wie Indien, Russland usw. soweit nach unten gezogen werden dass man damit in Westeuropa nicht angemessen von leben kann. Hieraus ergibt sich dass in den meisten Fällen freiberufliche Übersetzung betriebswirtschaftlich unrentabel ist. Selbst bei Vollzeit ist es oft nicht mehr möglich auch nur das Durchschnittsnettoeinkommen eines Angestellten zu erwirtschaften.

  4. Moin, Nikolaus,
    deshalb habe ich das Buch geschrieben: Wenn man sich anständig vermarktet, ist man auf solche Bottom-Feeder-Agenturen nicht angewiesen und kann durchaus wunderbar von der Übersetzerei leben. Ich und viele andere beweisen es tagtäglich. Meinen Kunden sind die Preise in Indien völlig schnuppe.
    Gruß
    Miriam

  5. Liebe Miriam,
    erst einmal danke für diese Seite. Das Buch ist auf jeden Fall auch auf der Liste der Anschaffungen, die demnächst anstehen.

    Ich bin zufällig auf diese Seite gestoßen, da ich mir dachte, dass es nach vier Jahren mehr oder minder wild drauflos gelegter Übersetzungstätigkeit als Quereinsteiger (zwar Geistes- und Gespensteswissenschaftler, aber eben nicht in Germersheim studiert) an der Zeit wäre, sich auch mal etwas präziser darüber zu informieren, was in der Branche eigentlich Gang und Gäbe ist.

    Wenn ich da diese Zahlen lese, werde ich aber doch etwas ungläubig. 40.000 im Jahr; ich kriege derzeit (wohlgemerkt derzeit, zu Beginn war es noch schlimmer) kaum die Hälfte zusammen, und ich vermag es mir ehrlich gesagt kaum vorzustellen, jemals irgendwann so viel zusammenzukriegen. Insofern kann ich dem Kommentator Nikolaus teilweise beipflichten.

    Es stimmt wohl wirklich, die Preise in unserer Branche können wirklich sehr weit auseinanderklaffen. Und es wird wohl auch damit zu tun haben, dass wir in einem völlig anderen Markt eingestiegen sind.

  6. Habe grade einen meiner ersten Jobs an Land gezogen, Englisch ins Deutsche, habe nun 12 Cent pro Wort angesetzt. Ist das ein normaler Preis?

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